Zukunft München 2030
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat Anfang des Jahres 2000 die Städte und Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohner sowie Stadt-Umland-Verbände in der Bundesrepublik zur Mitwirkung am Ideenwettbewerb "Stadt 2030" eingeladen, um in Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen Zukunftskonzeptionen und Leitbilder für ihre Stadt und Region zu formulieren, deren Perspektive über drei Jahrzehnte reicht. Diese Konzeptionen sollen visionären Charakter aufweisen und auch Zielsysteme und Bewertungsrahmen für aktuelle politische Entscheidungen und Einzelplanungen dienen. Es soll ein Zukunftsbild der jeweiligen Stadt gezeichnet werden, nach dem die planerischen Schritte und politischen Verfahren bestimmt werden können, die zur Erreichung dieser Zukunft erforderlich erscheinen.
In Anknüpfung an die vom IMU Institut für die Landeshauptstadt München erarbeiten Szenarien zur "Zukunft der Arbeit in München" (1999) hat sich die Stadt München (federführend ist das Planungsreferat unter Mitwirkung des Referats für Arbeit und Wirtschaft und des Sozialreferats) zusammen mit dem IMU Institut München, dem Institut für Städtebau und Wohnungswesen (ISW) und dem Lehrstuhl für Stadtraum und Stadtentwicklung der Technischen Universität München an dem Ideenwettbewerb beteiligt. Unter den 108 eingereichten Wettbewerbsbeiträgen wurde der Münchner Beitrag neben 20 weiteren Einreichungen als "Wettbewerbssieger" ausgewählt. Im März erhielten die Preisträger auf einer Veranstaltung in Berlin aus der Hand von Bundesministererin Bulmahn darüber eine Urkunde überreicht.
Im Mittelpunkt des Münchner Wettbewerbsbeitrages steht das Begriffspaar "Autonomie und Integration". Im Kern geht es um die Frage: Wie läßt sich der - nicht nur wirtschaftliche - Erfolg verbunden mit sozialem Frieden und kultureller Kompetenz im Raum München im Sinne nachhaltiger Entwicklung sichern, und wie hält man gleichzeitig Optionen für neuartige, heute noch nicht abschließend bewertbare Entwicklungen offen? Wie können die "Kreativitätsgeneratoren" identifiziert und gezielt gefördert werden?
Der Beitrag fußt auf zwei Vorüberlegungen: Erstens weist die Region München unter den deutschen Agglomerationsräumen und vergleichbaren europäischen Ballungsräumen einen hohen Grad interner und externer Vernetzung zwischen den verschiedenen Akteuren und Akteursgruppen auf. Diese Vernetzungskultur in wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politisch-administrativen Netzwerke ist in ihrer ositiven Wirkung auf den Gesamtstandort München hin zu sichern, zu unterstützen und weiterzuentwickeln. Zweitens entwickelt die wirtschaftliche Dynamik im Raum München Gefährdungspotenziale und läßt Defizite erkennen. Die wirtschaftliche Prosperität lähmt in gewisser Weise die Wahrnehmungsfähigkeit für Alternativen; der wirtschaftliche Erfolg neigt dazu, seine eigenen Rahmenbedingungen zu untergraben und verengt die Entwicklungsperspektiven nicht selten auf einen einmal eingeschlagenen Entwicklungskorridor. Die Münchner "Qualitätskultur" erscheint verbesserungswürdig - durch stetiges In-Frage-Stellen der gefundenen Ergebnisse und in Richtung eines Offenhaltens für Entfaltungsmöglichkeiten von Innovations- und Kreativitätspotenzialen, von Entwicklungen zwischen den Generationen und (inter)kulturellen Szenen.
Die Umsetzung des Münchner Beitrages zum Städtewettbewerb "Stadt 2030" geht davon aus, daß Zukunftsvisionen in der produktiven Auseinandersetzung von Menschen entstehen, die unterschiedliche Interessen haben und an der gemeinsamen Zukunftsgestaltung mitwirken wollen. Die Erarbeitung einer Leitvision "München 2030" wird deshalb als ein Dialogprozeß gestaltet ("Münchner Zukunftsdialog"), der viele Menschen, Institutionen und Organisationen der Region einbinden und beteiligen soll.
Dem soll auch die Ausarbeitung und Einspeisung von zwei kontrastierende Szenarien dienen: Das erste Szenario geht davon aus, daß die Stadtgesellschaft vom Ausleben der Einzelinteressen im geordneten Rahmen der repräsentativen Demokratie und der etablierten Institutionen. Der Individualnutzen zählt eindeutig höher als der Gemeinschaftsnutzen, auch wenn sich die Einzelinteressen so nicht optimal entfalten können. Das zweite Szenario geht von einem Wandel der Wertvorstellungen aus. Die Menschen der Stadtregion verstehen sich zunehmend als aktive Mitgestalter der Verhältnisse, in denen man leben möchte. Der emanzipierte Bürger des Jahres 2030 verfügt über ein eigenes Urteilsvermögen, versteht sich als Dialogpartner bei der Ausgestaltung von Dienstleistungen, stärkt seine Kompetenz in Netzwerken, schließt sich in informellen Gemeinschaften zusammen, die mehr Durchsetzungskraft entwickeln als etablierte Hierarchien, trägt aber auch seine Wertvorstellungen in bestehende Institutionen hinein und reformiert diese.
Die Leitvision wird aus den beiden Szenarien erarbeitet, die sich mit der Leitidee der solidarischen Stadt auseinandersetzen. Sie soll die Möglichkeiten zur Mobilisierung der kooperativen Kräfte und der Verknüpfung von selbstinteressierten (egoistischen) Handeln mit der gesellschaftlichen Verantwortung der Bürger für die Entwicklung ihrer Stadt und Region aufzeigen. Im großräumigen Wettbewerb der Standorte kann die integrative Stadtgesellschaft durchaus zu einem bedeutsamen Standortfaktor werden.
Die Leitvision soll den Charakter eines mittelfristigen strategischen Konzepts für die Stadtregion München erhalten. Sie wird schwerpunktartig anhand der drei "Strategischen Zukunftsfelder"
- München - Stadt des Wissens und der Kreativität
- München - Stadt der Kommunikation und der verträglichen Mobilität
- München - Stadt der Segregation und Integration
entwickelt werden, die jeweils auf das übergreifende Thema "Autonomie und Integration" hin durchdacht werden. Bei der Bearbeitung der strategischen Zukunftsfelder wird der gesamte stadtregionale Raum im Auge behalten; räumlich konkretisiert werden sie aber anhand von drei Stadtquartieren. In jedem dieser Quartiere wird untersucht, wie Trends und erwartete Veränderungen sich vor dem Hintergrund globaler und lokal-regionaler Entwicklungen vor Ort niederschlagen und ausprägen und sich wechselseitig beeinflussen könnten. Dies soll im engen Dialog mit Akteuren und Experten dieser Stadtquartiere im Rahmen von Quartiersforen und anderen Austauschebenen erfolgen.
Am Ende des Projektverfahrens sollte eine Vision vorgelegt werden, die als Zukunftsbild und als strategischer Handlungsrahmen konsensfähig ist.